Vorspiel
Dereinst
im fernen Königreiche
Fand
sich des Tags nach Weihnachten
Die
durchaus reichlich tote Leiche
Mit
vielen Falten in die (einstmals) weiche
Haut
gezeichnet; man muss beachten:
Es
war nicht, was die Leute dachten.
Nicht
Suff noch Elend war der Grund,
Nicht
Wahnsinn oder Ungesund(heit)
Aber
lest selbst, doch seid gewarnt!
Im
trüben Licht des Fackelscheins
Wird
durchaus einiges enttarnt.
Es
folgt ein Weihnachtsdrärchen
„Die
Krone der Königin – gewisse öffentliche Demütigungen in ein paar
(zeichnerisch vermutlich durchaus herausfordernden) Akten und einem
Nachhall“
Unter
anderem treten auf:
Der
Zauberlehrling
Die
Königin
Der
Handlanger
Gustavo
Nackte,
hungernde Kinder
Ein
Monster
Jutta
Ein
uralter Mann
Meger
Vohn
Zwei
dicke Frauen
Ein
kleiner, dünner Mann
Ein
Zierfischer
Zweifelhaftes
Intro
Es
war einmal in einem fernen Königreich eine Königin, die es
regierte, das Reich. Sie war großzügig und gutherzig und wurde von
allen geliebt; ihre Gefolgschaft war ihr treu und würde es immer
sein, daran bestand kein Zweifel. Sie war unermesslich reich, wie
Königinnen das nun mal sind, und trotz allem ließ sie es sich nicht
nehmen, jedes Jahr zu Weihnachten persönlich ihr Volk zu besuchen,
um ihm frohe Weihnachten zu wünschen.
So
auch in diesem Jahr, vor langer, langer Zeit, in einem fernen, fernen
Königreich …
1.
Akt, O. Szene
Im
Dorf, es ist früher Tag, der Morgen bricht gerade
aufmerksamkeitsheischend an und taucht die Szenerie in
orangeflüssiges Licht. Der Zierfischer baut seinen Stand auf, um den
Tag über Zierfische zu verkaufen (er blickt ein wenig mürrisch, die
Geschäfte laufen nicht so gut zurzeit). Der Zauberlehrling geht
leise und vollkommen aus dem Zusammenhang an ihm vorbei und murmelt.
ZAUBERLEHRLING:
Es war einmal in einem fernen Königreiche, gegen Mittag, an der
Eiche …
ZIERFISCHER:
Wie bitte?
ZAUBERLEHRLING
(bleibt einen Moment stehen, hält inne, geht weiter): Ach,
nichts …
Vorhang.
1.
Akt, I. Szene
Wir
befinden uns im fernen, fernen Reich der Königin; im Folgenden
Fernizien genannt. Der Thronsaal prunkt mit der Robe der Königin um
die Wette, die Shakespearsche Halskrause war gerade in Mode gekommen.
Der Handlanger steht angestrengt vor der Königin aufrecht und kann
sich nur mit Mühe davon abhalten, sich müde die Stirn zu reiben,
während die Königin auf dem Thron sitzt und jede ihrer Trauben
einem eingehenden Casting unterzieht, ehe sie sie einzeln verspeist.
KÖNIGIN:
Handlanger?!
HANDLANGER:
Ja, o meine Königin?
Er
schmachtete sie gewohnheitsmäßig an. Nicht, dass der Handlanger
heimlich in die Königin verliebt gewesen wäre, nein, niemals, denn
erstens war er schüchtern und zweitens schwul wie die Nacht schwarz,
obgleich er der Königin eine gewisse Anziehungskraft nicht
absprechen konnte, wenn sie majestätisch ihr knöchernes Gestell
durch den königlichen Schlossgarten schob und dabei gelegentlich
königinnenhaft in ihr Taschentuch hüstelte. Nach ihrer Krönung,
als sie noch eine junge Königin und er ein junger, frischer
Handlanger voller Tatendrang gewesen war, gingen einige Zeit Gerüchte
um über ihn und ihre Majestät. Man erzählte sich, die oberste
Hofstaatsstabsführerin hätte sogar eine Wette mit dem zweitobersten
Hofstaatsstabkommandatenausbilder am Laufen gehabt, dem Gemunkel
zufolge hatten sie um ein königliches Springpferd und eine halbe
Gans gewettet - allerdings ist nie ans Licht gekommen, wer die Wette
denn nun gewonnen hatte, denn kurze Zeit darauf wurde der königliche
Springreitsport gestrichen und dem Hofstaat eine vegetarische Diät
verordnet. Tja, was soll man machen.
KÖNIGIN:
Ich wünsche, dass mir morgen Abend der Graf von Nebenan und seine
reizende Familie Gesellschaft leisten zum Dinner. Oder noch besser
nur der Graf von Nebenan, ohne seine reizende Familie …
Eine
weitere, dunkle Geschichte aus dem Reich verwinkelter, herrschaftlicher Zwiespältigkeiten; der Handlanger seufzte.
HANDLANGER:
Aber eure Majestät, morgen Abend ist doch …
KÖNIGIN:
WAS ist morgen Abend?!
Sie
funkelte ihn an, ihm wurde flau im Magen. Eine Falte ihres Halses
kroch gemächlich über ihren spitzenbesetzten Stehkragen.
HANDLANGER:
Eure königliche Hoheit, morgen ist Weihnachten, und Ihr wisst, was
das bedeutet …
Sich
jetzt bloß nichts anmerken lassen. Er hasste es, sie jedes Jahr
daran erinnern zu müssen und hatte sich schon mehr als einmal
gefragt, weswegen er immer noch königlicher Handlanger war, warum er
es überhaupt geworden war. Er hätte damals die Ausbildung zum
Zierfischzüchter machen, oder gleich mit Gustavo nach Holland
auswandern sollen. Aber nein, sie waren geblieben, er war
Handlanger, Gustavo fühlte sich nach wie vor zur Frau berufen und
trat deswegen eher selten im mittelalterlichen, hofstätischen
Treiben auf, und sein Vater war mittlerweile tot, Herzinfarkt,
nachdem er Gustavo kennengelernt hatte und dieser ihm zur Begrüßung
kokett die Hand zum Handkuss hingehalten, danach höfisch geknickst
hatte und zart errötet war. Und das, wo er ihm so oft gesagt hatte,
er solle es nicht übertreiben; sein Vater war da etwas altmodisch.
Wie
dem auch sei, die Königin funkelte. Dann beruhigte sie sich.
KÖNIGIN:
Ach ja, Weihnachten … Haben sie meinem Hofstaat bereits Bescheid
gesagt?
Das
war auch so eine Sache. Er musste dem Hofstaat im Grunde nicht
Bescheid geben, die einzige Person innerhalb der Schlossmauern, die
Weihnachten vergaß, war die Königin selbst, und vielleicht noch der
Urgroßvater der ersten Schlossgrabenstehers, aber der war auch
hundertundsieben, der Urgroßvater, nicht der erste
Schlossgrabensteher, und hatte Alzheimer. Was zu dieser Zeit noch
eine unentdeckte Krankheit war, aber wen interessiert das schon; den
Urgroßvater des ersten Schlossgrabenstehers zumindest nicht, der
erfreute sich abgesehen davon nämlich bester Gesundheit und lernte
dabei noch jeden Tag neue Leute kennen.
HANDLANGER:
Nein, eure Majestät, aber das werde ich selbstredend auf der Stelle
nachholen, wenn ihr gestattet.
Die
Königin wedelte mit ihrer knöchernen Hand ein bisschen in der Luft
herum, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen, während
ihre Mimik beschloss, zu proben wie sie sich zu verhalten hätte,
sollte besagte lästige Fliege verschluckt werden. Der Handlanger
machte sich eiligst auf den Weg.
Die
Sache war nun also - der Teil, der es noch unangenehmer für den
Handlanger machte, als es ohnehin schon war, jedes Jahr aufs neue von
der Königin zur Schnecke gemacht zu werden, nur, um daraufhin wie
jedes Jahr am Weihnachtsabend nicht zuhause zu sein, wo er doch
wusste, wie sehr das Gustavo kränkte, kochte er doch jedes Mal,
letztes Jahr hatte er sogar Eierflip gemacht - die Sache war nun
also, der Hofstaat hasste es genauso wie er, am 24. Dezember von der
Königin eingespannt zu werden, um das Volk zu besuchen, für das
sich doch eigentlich weder der Hofstaat noch die Königin
interessierte. Aber wehe, der Handlanger würde sie in einem Jahr
nicht ans kommende Fest erinnern, er wäre seinen Job, und mit
ihm vermutlich auch seinen Kopf, schneller los als sich Gustavo in
eine seiner Designerroben werfen könnte, um zur Hinrichtung zu
erscheinen. Was zur Folge hatte, dass er zunächst alljährlich vor
der Königin schlecht dastand, weil er sie an unliebsame, wenn auch
selbst auferlegte, Pflichten erinnerte, nur um daraufhin vor dem
gesamtem Hofstaat schlecht dazustehen, der natürlich all seinen
Ärger an ihm abließ.
Der
Handlanger fühlte sich miserabel.
1.
Akt, II. Szene
Der
Handlanger begibt sich auf den königlichen Verkündigungsbalkon,
Meger Vohn ihm dicht auf den Versen, der Mann mit der lautesten
Stimme der Welt; ein lautes Organ, ja, nur leider würde nie mehr aus
ihm werden als ein königliches Sprachrohr, war er doch
bedauerlicherweise dumm wie eine Sinkwanne.1Die
Sonne geht langsam unter, auf dem Platz unter dem Balkon tummelt sich
das mittelalterlich berobte Volk und handelt angeregt mit
Bierfässern, Giftpilzen und abgehackten Fingern. Ein Barde steht
etwas abseits und stimmt verzückt seine Laute, auf einer kleinen
Bühne finden letzte Proben statt. Im Hintergrund eine
Hexenverbrennung. Einige Statisten sollten mimisch Gestank
verdeutlichen, u.U. könnte ein ehemaliges Mitglied Monty Pythons
beiläufig am Bühnenrand eine Gans wiegen; aber nur, wenn es nicht
zu teuer ist.
Der
Handlanger räusperte sich. Meger Vohn räusperte sich mit.
HANDLANGER:
Hört, hört…
MEGER
VOHN: HÖRTHÖRT!
HANDLANGER:
Ja, ganz so laut wird es wohl nicht …
MEGER
VOHN: JA GANZ SO LAUT WIRD …
HANDLANGER:
Nein, verdammt, das sollen sie nicht wiederholen!
MEGER
VOHN: NICHT?
HANDLANGER:
Nein. Also, nochmal.
Der
Handlanger fasste sich kurz an die Nasenwuzel und sammelte sich.
HANDLANGER:
Hört, hört!
Nichts.
Er warf Meger Vohn einen skeptischen Blick zu.
HANDLANGER:
Hört, hört!!
Wieder
nichts.
HANDLANGER:
Hören sie mal, Herr Vohn, können wir das jetzt bitte …
MEGER
VOHN: HÖREN SIE MAL HERR VOHN …
HANDLANGER:
Nein, HERRGOTT, hören sie doch zu!
Meger
Vohn blickte schuldbewusst auf den polierten Boden des
königlichen Verkündigungsbalkons und nickte.
HANDLANGER:
Gut, habe ich ihre volle Konzentration?
Meger
Vohn nickte erneut und biss sich auf die Unterlippe. Bitte
lieber Gott, mach, dass das bald vorbei ist. Der Handlanger war noch
nie gut darin, anderen Anweisungen zu geben.
HANDLANGER:
Hört, hört!
MEGER
VOHN: Hört, hört!
Aus
dem Publikum kamen erste genervte Rufe, sie würden ja zuhören, und
ob man jetzt bitte weitermachen könne, das Lustspiel finge gleich
an.
HANDLANGER:
Die Königin lässt verkünden,
MEGER
VOHN: Die Königin lässt verkünden!
HANDLANGER:
Dass am morgigen …
MEGER
VOHN: Dass am morgigen!
Der
Handlanger atmete tief durch. Nicht genug, dass er sich fühlte wie
eine schlechte Zirkusnummer mit Papagei, der Papagei war auch noch
schwer von Begriff.
HANDLANGER:
Könnten sie bitte erst einen Satz abwarten, bevor sie mich
wiederholen?
MEGER
VOHN: Natürlich!
Der
Handlanger atmete einmal tief ein und betont langsam wieder aus.
HANDLANGER:
Dass am morgigen Abend, dem Weihnachtsabend …
Der
Handlanger wartete.
HANDLANGER:
Herr Vohn?
MEGER
VOHN: Ich habe keinen Punkt gehört. Das war kein ganzer
Satz.
Der
Handlanger war kurz davor, handgreiflich zu werden, hielt sich jedoch
eisern im Zaum. Als ob dieser Halbidiot die Interpunktion verstanden
hätte.
HANDLANGER:
Würden sie bitte dennoch wiederholen, was ich gerade gesagt habe?
MEGER
VOHN: Sehr wohl. Äh, könnten sie gerade vielleicht nochmal…?
Es
war zum die Wände hochgehen. Wäre schon bekannt gewesen, dass
Aufregung extrem schlecht für den Blutdruck ist, hätte sich der
Handlanger jetzt wahrscheinlich Sorgen um seine Gesundheit gemacht.
HANDLANGER:
Dass - am morgigen Abend. DEM. WEIH-nachts-abend!
MEGER
VOHN: DAS AM MORGIGEN ABEND DEM WEIHNACHTSABEND
HANDLANGER:
Sich um fünf Uhr eingefunden wird, um das Volk zu besuchen.
MEGER
VOHN: SICH UM FÜNF UHR EINGEFUNDEN WIRD UM DAS VOLK ZU
BESUCHEN.
HANDLANGER:
Bitte bringt Mäntel und feste Schuhe, eventuell einen Esel oder wenn
ihr habt ein Pferd. Frohe Weihnachten.
Damit
verließ der Handlanger das frustrierende Szenario, Meger Vohn hörte
er noch, als er seine Schlafgemächer erreicht hatte.
Handlanger
ab, Meger Vohn verbleibt noch ein Weilchen auf der Bühne und erfreut
sich nutzloser Sinnlosigkeiten.
1 Und
erfand 13 Jahre später, nachdem die Monarchie endgültig abgeschafft
und durch eine Diktatur ersetzt worden war und die Gänsezucht sowie
der Springreitsport wieder aufgenommen wurden, das Megafon und wurde
der reichste Mann der Welt. Und das, obwohl er seiner Zeit das
Studium abgebrochen hatte.
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