Dienstag, 23. Dezember 2014

Des Drärchens erster Teil



Vorspiel
Dereinst im fernen Königreiche
Fand sich des Tags nach Weihnachten
Die durchaus reichlich tote Leiche
Mit vielen Falten in die (einstmals) weiche
Haut gezeichnet; man muss beachten:
Es war nicht, was die Leute dachten.
Nicht Suff noch Elend war der Grund,
Nicht Wahnsinn oder Ungesund(heit)
Aber lest selbst, doch seid gewarnt!
Im trüben Licht des Fackelscheins
Wird durchaus einiges enttarnt.

Es folgt ein Weihnachtsdrärchen
Die Krone der Königin – gewisse öffentliche Demütigungen in ein paar (zeichnerisch vermutlich durchaus herausfordernden) Akten und einem Nachhall“
Unter anderem treten auf:
Der Zauberlehrling
Die Königin
Der Handlanger
Gustavo
Nackte, hungernde Kinder
Ein Monster
Jutta
Ein uralter Mann
Meger Vohn
Zwei dicke Frauen
Ein kleiner, dünner Mann
Ein Zierfischer

Zweifelhaftes Intro

Es war einmal in einem fernen Königreich eine Königin, die es regierte, das Reich. Sie war großzügig und gutherzig und wurde von allen geliebt; ihre Gefolgschaft war ihr treu und würde es immer sein, daran bestand kein Zweifel. Sie war unermesslich reich, wie Königinnen das nun mal sind, und trotz allem ließ sie es sich nicht nehmen, jedes Jahr zu Weihnachten persönlich ihr Volk zu besuchen, um ihm frohe Weihnachten zu wünschen.
So auch in diesem Jahr, vor langer, langer Zeit, in einem fernen, fernen Königreich …

1. Akt, O. Szene
Im Dorf, es ist früher Tag, der Morgen bricht gerade aufmerksamkeitsheischend an und taucht die Szenerie in orangeflüssiges Licht. Der Zierfischer baut seinen Stand auf, um den Tag über Zierfische zu verkaufen (er blickt ein wenig mürrisch, die Geschäfte laufen nicht so gut zurzeit). Der Zauberlehrling geht leise und vollkommen aus dem Zusammenhang an ihm vorbei und murmelt.

ZAUBERLEHRLING: Es war einmal in einem fernen Königreiche, gegen Mittag, an der Eiche …
ZIERFISCHER: Wie bitte?
ZAUBERLEHRLING (bleibt einen Moment stehen, hält inne, geht weiter): Ach, nichts …

Vorhang.


1. Akt, I. Szene
Wir befinden uns im fernen, fernen Reich der Königin; im Folgenden Fernizien genannt. Der Thronsaal prunkt mit der Robe der Königin um die Wette, die Shakespearsche Halskrause war gerade in Mode gekommen. Der Handlanger steht angestrengt vor der Königin aufrecht und kann sich nur mit Mühe davon abhalten, sich müde die Stirn zu reiben, während die Königin auf dem Thron sitzt und jede ihrer Trauben einem eingehenden Casting unterzieht, ehe sie sie einzeln verspeist.

KÖNIGIN: Handlanger?!
HANDLANGER: Ja, o meine Königin?

Er schmachtete sie gewohnheitsmäßig an. Nicht, dass der Handlanger heimlich in die Königin verliebt gewesen wäre, nein, niemals, denn erstens war er schüchtern und zweitens schwul wie die Nacht schwarz, obgleich er der Königin eine gewisse Anziehungskraft nicht absprechen konnte, wenn sie majestätisch ihr knöchernes Gestell durch den königlichen Schlossgarten schob und dabei gelegentlich königinnenhaft in ihr Taschentuch hüstelte. Nach ihrer Krönung, als sie noch eine junge Königin und er ein junger, frischer Handlanger voller Tatendrang gewesen war, gingen einige Zeit Gerüchte um über ihn und ihre Majestät. Man erzählte sich, die oberste Hofstaatsstabsführerin hätte sogar eine Wette mit dem zweitobersten Hofstaatsstabkommandatenausbilder am Laufen gehabt, dem Gemunkel zufolge hatten sie um ein königliches Springpferd und eine halbe Gans gewettet - allerdings ist nie ans Licht gekommen, wer die Wette denn nun gewonnen hatte, denn kurze Zeit darauf wurde der königliche Springreitsport gestrichen und dem Hofstaat eine vegetarische Diät verordnet. Tja, was soll man machen.

KÖNIGIN: Ich wünsche, dass mir morgen Abend der Graf von Nebenan und seine reizende Familie Gesellschaft leisten zum Dinner. Oder noch besser nur der Graf von Nebenan, ohne seine reizende Familie …

Eine weitere, dunkle Geschichte aus dem Reich verwinkelter, herrschaftlicher Zwiespältigkeiten; der Handlanger seufzte.

HANDLANGER: Aber eure Majestät, morgen Abend ist doch …
KÖNIGIN: WAS ist morgen Abend?!

Sie funkelte ihn an, ihm wurde flau im Magen. Eine Falte ihres Halses kroch gemächlich über ihren spitzenbesetzten Stehkragen.

HANDLANGER: Eure königliche Hoheit, morgen ist Weihnachten, und Ihr wisst, was das bedeutet …

Sich jetzt bloß nichts anmerken lassen. Er hasste es, sie jedes Jahr daran erinnern zu müssen und hatte sich schon mehr als einmal gefragt, weswegen er immer noch königlicher Handlanger war, warum er es überhaupt geworden war. Er hätte damals die Ausbildung zum Zierfischzüchter machen, oder gleich mit Gustavo nach Holland auswandern sollen. Aber nein, sie waren geblieben, er war Handlanger, Gustavo fühlte sich nach wie vor zur Frau berufen und trat deswegen eher selten im mittelalterlichen, hofstätischen Treiben auf, und sein Vater war mittlerweile tot, Herzinfarkt, nachdem er Gustavo kennengelernt hatte und dieser ihm zur Begrüßung kokett die Hand zum Handkuss hingehalten, danach höfisch geknickst hatte und zart errötet war. Und das, wo er ihm so oft gesagt hatte, er solle es nicht übertreiben; sein Vater war da etwas altmodisch.
Wie dem auch sei, die Königin funkelte. Dann beruhigte sie sich.

KÖNIGIN: Ach ja, Weihnachten … Haben sie meinem Hofstaat bereits Bescheid gesagt?

Das war auch so eine Sache. Er musste dem Hofstaat im Grunde nicht Bescheid geben, die einzige Person innerhalb der Schlossmauern, die Weihnachten vergaß, war die Königin selbst, und vielleicht noch der Urgroßvater der ersten Schlossgrabenstehers, aber der war auch hundertundsieben, der Urgroßvater, nicht der erste Schlossgrabensteher, und hatte Alzheimer. Was zu dieser Zeit noch eine unentdeckte Krankheit war, aber wen interessiert das schon; den Urgroßvater des ersten Schlossgrabenstehers zumindest nicht, der erfreute sich abgesehen davon nämlich bester Gesundheit und lernte dabei noch jeden Tag neue Leute kennen.

HANDLANGER: Nein, eure Majestät, aber das werde ich selbstredend auf der Stelle nachholen, wenn ihr gestattet.

Die Königin wedelte mit ihrer knöchernen Hand ein bisschen in der Luft herum, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen, während ihre Mimik beschloss, zu proben wie sie sich zu verhalten hätte, sollte besagte lästige Fliege verschluckt werden. Der Handlanger machte sich eiligst auf den Weg.
Die Sache war nun also - der Teil, der es noch unangenehmer für den Handlanger machte, als es ohnehin schon war, jedes Jahr aufs neue von der Königin zur Schnecke gemacht zu werden, nur, um daraufhin wie jedes Jahr am Weihnachtsabend nicht zuhause zu sein, wo er doch wusste, wie sehr das Gustavo kränkte, kochte er doch jedes Mal, letztes Jahr hatte er sogar Eierflip gemacht - die Sache war nun also, der Hofstaat hasste es genauso wie er, am 24. Dezember von der Königin eingespannt zu werden, um das Volk zu besuchen, für das sich doch eigentlich weder der Hofstaat noch die Königin interessierte. Aber wehe, der Handlanger würde sie in einem Jahr nicht ans kommende Fest erinnern, er wäre seinen Job, und mit ihm vermutlich auch seinen Kopf, schneller los als sich Gustavo in eine seiner Designerroben werfen könnte, um zur Hinrichtung zu erscheinen. Was zur Folge hatte, dass er zunächst alljährlich vor der Königin schlecht dastand, weil er sie an unliebsame, wenn auch selbst auferlegte, Pflichten erinnerte, nur um daraufhin vor dem gesamtem Hofstaat schlecht dazustehen, der natürlich all seinen Ärger an ihm abließ.
Der Handlanger fühlte sich miserabel.

1. Akt, II. Szene
Der Handlanger begibt sich auf den königlichen Verkündigungsbalkon, Meger Vohn ihm dicht auf den Versen, der Mann mit der lautesten Stimme der Welt; ein lautes Organ, ja, nur leider würde nie mehr aus ihm werden als ein königliches Sprachrohr, war er doch bedauerlicherweise dumm wie eine Sinkwanne.1Die Sonne geht langsam unter, auf dem Platz unter dem Balkon tummelt sich das mittelalterlich berobte Volk und handelt angeregt mit Bierfässern, Giftpilzen und abgehackten Fingern. Ein Barde steht etwas abseits und stimmt verzückt seine Laute, auf einer kleinen Bühne finden letzte Proben statt. Im Hintergrund eine Hexenverbrennung. Einige Statisten sollten mimisch Gestank verdeutlichen, u.U. könnte ein ehemaliges Mitglied Monty Pythons beiläufig am Bühnenrand eine Gans wiegen; aber nur, wenn es nicht zu teuer ist.

Der Handlanger räusperte sich. Meger Vohn räusperte sich mit.

HANDLANGER: Hört, hört…
MEGER VOHN: HÖRTHÖRT!
HANDLANGER: Ja, ganz so laut wird es wohl nicht …
MEGER VOHN: JA GANZ SO LAUT WIRD …
HANDLANGER: Nein, verdammt, das sollen sie nicht wiederholen!
MEGER VOHN: NICHT?
HANDLANGER: Nein. Also, nochmal.

Der Handlanger fasste sich kurz an die Nasenwuzel und sammelte sich.

HANDLANGER: Hört, hört!

Nichts. Er warf Meger Vohn einen skeptischen Blick zu.

HANDLANGER: Hört, hört!!

Wieder nichts.

HANDLANGER: Hören sie mal, Herr Vohn, können wir das jetzt bitte …
MEGER VOHN: HÖREN SIE MAL HERR VOHN …
HANDLANGER: Nein, HERRGOTT, hören sie doch zu!

Meger Vohn blickte schuldbewusst auf den polierten Boden des königlichen Verkündigungsbalkons und nickte.

HANDLANGER: Gut, habe ich ihre volle Konzentration?

Meger Vohn nickte erneut und biss sich auf die Unterlippe. Bitte lieber Gott, mach, dass das bald vorbei ist. Der Handlanger war noch nie gut darin, anderen Anweisungen zu geben.

HANDLANGER: Hört, hört!
MEGER VOHN: Hört, hört!

Aus dem Publikum kamen erste genervte Rufe, sie würden ja zuhören, und ob man jetzt bitte weitermachen könne, das Lustspiel finge gleich an.

HANDLANGER: Die Königin lässt verkünden,
MEGER VOHN: Die Königin lässt verkünden!
HANDLANGER: Dass am morgigen …
MEGER VOHN: Dass am morgigen!

Der Handlanger atmete tief durch. Nicht genug, dass er sich fühlte wie eine schlechte Zirkusnummer mit Papagei, der Papagei war auch noch schwer von Begriff.

HANDLANGER: Könnten sie bitte erst einen Satz abwarten, bevor sie mich wiederholen?
MEGER VOHN: Natürlich!
Der Handlanger atmete einmal tief ein und betont langsam wieder aus.

HANDLANGER: Dass am morgigen Abend, dem Weihnachtsabend …

Der Handlanger wartete.

HANDLANGER: Herr Vohn?
MEGER VOHN: Ich habe keinen Punkt gehört. Das war kein ganzer Satz.

Der Handlanger war kurz davor, handgreiflich zu werden, hielt sich jedoch eisern im Zaum. Als ob dieser Halbidiot die Interpunktion verstanden hätte.

HANDLANGER: Würden sie bitte dennoch wiederholen, was ich gerade gesagt habe?
MEGER VOHN: Sehr wohl. Äh, könnten sie gerade vielleicht nochmal…?

Es war zum die Wände hochgehen. Wäre schon bekannt gewesen, dass Aufregung extrem schlecht für den Blutdruck ist, hätte sich der Handlanger jetzt wahrscheinlich Sorgen um seine Gesundheit gemacht.

HANDLANGER: Dass - am morgigen Abend. DEM. WEIH-nachts-abend!
MEGER VOHN: DAS AM MORGIGEN ABEND DEM WEIHNACHTSABEND
HANDLANGER: Sich um fünf Uhr eingefunden wird, um das Volk zu besuchen.
MEGER VOHN: SICH UM FÜNF UHR EINGEFUNDEN WIRD UM DAS VOLK ZU BESUCHEN.
HANDLANGER: Bitte bringt Mäntel und feste Schuhe, eventuell einen Esel oder wenn ihr habt ein Pferd. Frohe Weihnachten.

Damit verließ der Handlanger das frustrierende Szenario, Meger Vohn hörte er noch, als er seine Schlafgemächer erreicht hatte.

Handlanger ab, Meger Vohn verbleibt noch ein Weilchen auf der Bühne und erfreut sich nutzloser Sinnlosigkeiten.

1 Und erfand 13 Jahre später, nachdem die Monarchie endgültig abgeschafft und durch eine Diktatur ersetzt worden war und die Gänsezucht sowie der Springreitsport wieder aufgenommen wurden, das Megafon und wurde der reichste Mann der Welt. Und das, obwohl er seiner Zeit das Studium abgebrochen hatte.

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